Originaltitel: Зеркало
UdSSR | 1975 | 102 Min. | FSK: ab 12
Drama
Regie: Andrei Tarkowski
Drehbuch: Alexander Mischarin, Andrei Tarkowski
Besetzung: Margarita Terekhova, Ignat Daniltsev, Larisa Tarkovskaya, Anatoli Solonitsyn u.a.
Kinostart: —
DVD/Blu-Ray VÖ: 06.04.04
Links zum Film:
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Worum geht’s?
Aleksei hat sich von seiner Frau Natalja getrennt und fragt den gemeinsamen Sohn Ignat, bei wem er leben möchte. Natalja sieht in Alekseis Kindheitserinnerungen aus den 30er Jahren genauso aus wie seine Mutter Maria. Als Mittvierziger philosophiert Aleksei in einem Gemisch aus geträumter und realer Erinnerung über sein Leben, geprägt von historischen Ereignissen.
Wie ist der Film?
Keine Zeit haben. Eine erstaunlich eigene Auslegung dieses Begriffs zeigt der berühmte sowjetische Regisseur Andrei Tarkowski in diesem Werk, das verständlicherweise als sein schwierigstes gilt. Nämlich löst er die Grenzen von Zeit und Raum in mehreren Ebenen auf. „Der Spiegel“ folgt keiner dramatischen Handlung im eigentlichen Sinne, sondern ist ein assoziativer Gedankenstrom auf Film gebannt. Einschneidende Momente der Weltgeschichte vermischen sich mit autobiografischen Erinnerungen und Träumen. Nebenfiguren beklagen in kurzen Auftritten die Hast um sie herum. Protagonist Alexei fragt ahnungslos nach der Uhrzeit, er hat sich der Eile losgesagt. „Der Spiegel“ ruht in seinem freien Fluss der Reflexion.
Die erste Sichtung von „Der Spiegel“ lässt einen in der Regel ziemlich ratlos zurück. Ein Eindruck der Willkür entsteht. Nach genauerer Betrachtung lässt sich allerdings ein System entschlüsseln, dessen Bausteine Tarkowski nach Gefühl beziehungsweise einer individuellen Logik zusammensetzte: Zunächst gibt es die filmische Gegenwart um die nie ganz sichtbare, aber zu hörende Hauptfigur Alexei. Dann die Rückblenden, hauptsächlich mit Alexeis Kindheitserinnerungen, des Weiteren traumartige Sequenzen und schließlich immer wieder eingeflochtene dokumentarische „Wochenschau“-Rückblenden aus verschiedenen Ländern im Zustand politischer Unruhe. Kommentiert wird die Collage aus Schwarzweiß und Farbe mit im Off rezitierten Gedichten von Tarkowskis Vater Arseni.
Als wäre es nicht schon knifflig genug, hat Tarkowski Alexeis Frau und die junge Version seiner Mutter mit der gleichen Darstellerin besetzt, Alexeis Sohn in der Gegenwart und den jungen Alexei der Erinnerung mit dem gleichen Darsteller. Doch das ist auch ganz im Sinne des Konzepts: Durch die Erinnerung spiegeln die Zeitebenen einander, genau wie die kollektive Geschichte und die ganz persönliche (von Tarkowski selbst ähnlich wie von Alexei). Als Verknüpfungspunkte dienen immer wieder Reminiszenzen an verschiedene Künstler, deren Werk und Wirken sich über die Generationen erstreckt. Zusätzlich inszeniert Tarkowski als zentrales Motiv immer wieder die Natur mit ihren Elementen als das über die Zeit der Menschen Erhabene, wonach Aleksei zu streben scheint, aber auch als dunklen Wald der Unsicherheit und Midlife-Crisis.
Am Anfang sagt ein geheilter Stotterer „Ich kann sprechen.“ – ein Sinnbild für die Bereitschaft, zu reflektieren, in den Spiegel zu blicken, den dunklen Wald zu ergründen. „Der Spiegel“ mag der Film sein, der am Ende eines Lebens – oder in der Mitte – an einem vorbeizieht, in einen größeren Kontext gesetzt. Ein poetisches, kafkaeskes Bilderrätsel, das sich durch schöne, gleitende Kamerafahrten in langen Einstellungen, die faszinierende Mimik von Hauptdarstellerin Margarita Terechowa und einen auf seltsame Weise funktionierenden Rhythmus auszeichnet. „Der Spiegel“ bleibt stets ein Stückweit verschlossen und schwer zugänglich, ein eigenwilliges wie visionäres Experiment. Die Spiegelung der eigenen Gefühle geht in einem Labyrinth unter, es bleibt das Zuschauen. Schön und gut.
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