Manchmal fragt man sich beim Filmgenuss im Kino: „Könnte so etwas wirklich passieren?“ Und hinterher liest man dann, dass der Film auf einer wahren Begebenheit beruht. Immer wieder verzaubern uns Filmfiguren mit ihren realen Geschichten. Einer dieser realen Charaktere ist Kim Peek. Er diente als Inspiration für die Rolle des an Autismus und Inselbegabung leidenden Raymond Babbitt. Das mit vier Oscars ausgezeichnete Drama „Rain Man“ greift seine Geschichte auf.
Dustin Hoffman (Foto) spielt den Autisten Raymond, der von Charlie (Tom Cruise) aus einer Klinik auf eine Reise durch die USA mitgenommen wird. Charlie Babbitt, ein selbstverliebter Autohändler aus Kalifornien, bekommt beim Import italienischer Sportwagen Probleme mit den Umweltanforderungen, die er seinen Kunden verheimlicht, um Zeit zu gewinnen. Als er vom Ableben eines Angehörigen erfährt, gibt er sich zunächst emotionslos, macht sich aber trotzdem direkt auf den Weg zur Trauerfeier nach Cincinnati, Ohio. Das Verhältnis zum Verstorbenen war zerrüttet durch Geschehnisse in der Vergangenheit.
Durch Erinnerungen an alte Zeiten fällt Charlie wieder ein, dass er sich damals eine Phantasiefigur ausgedacht hatte, die ihm zur Hilfe kam, wenn er sie brauchte und für ihn sang. Er nannte sie Rain Man. Bei der Eröffnung des Testaments, auf das Charlie seine Hoffnungen setzt, stellt sich heraus, dass nicht er, sondern eine Klinik für geistig behinderte Personen drei Millionen Dollar erbt. Er fährt sofort dorthin und lernt einen Patienten kennen, der den Verstorbenen zu kennen scheint. Es handelt sich um einen Verwandten, von dem er nie etwas wusste. Ungefragt nimmt er diesen auf seine Rückreise nach Kalifornien mit, da er glaubt, dass auch ihm etwas von den drei Millionen Dollar zusteht.
Auf dem Weg findet Charlie heraus, wieso Raymond in der Klinik lebt. Er leidet unter Autismus mit einer Inselbegabung. Menschen, die an Autismus leiden, haben zwar ein hochfunktionelles Gehirn, können jedoch beispielsweise alltägliche Dinge nicht meistern. Sie können kaum Beziehungen zu Menschen aufbauen oder Abweichungen vom gewohnten Tagesablauf ertragen. Mit der Inselbegabung geht ein enormes Verständnis für den Umgang mit Zahlen und Daten einher. Raymond kennt zum Beispiel alle Flugunfälle mit Flugnummern und Anzahl der Todesopfer auswendig. Als Charlie feststellt, dass der Autist nach einem Tag alle Nummern eines Telefonbuches auswendig kennt, kommt er auf die glorreiche Idee, wie er die Fähigkeiten für seine Zwecke nutzen kann.
Da Charlie noch immer nicht weiß, wie er seine Schulden schnellstmöglich loswerden kann, geht er mit Raymond in ein Casino in Las Vegas, um die Inselbegabung bei der strategischen Herausforderung des Blackjackspiels zu nutzen. Tatsächlich gewinnen sie so viel, dass der Autoverkäufer all seine Schulden begleichen kann. Ihnen wird jedoch anschließend Betrug vom Betreiber des Casinos vorgeworfen, da dieser hinter die Machenschaften kommt. Man legt ihnen nahe, Las Vegas so schnell wie möglich zu verlassen. Bei einer Übernachtung im Motel wird Charlie klar, dass seine Beziehung zu Raymond weit über das Geldverdienen hinausgeht.
Kim Peek, der als Vorbild für Raymond diente, war eine Art Superhirn; sein Gedächtnis das vielleicht beste der Welt. Zehntausende Bücher soll er gelesen und nichts von ihrem Inhalt vergessen haben. Tatsächlich war Peek selbst jedoch kein Autist, sondern ein sogenannter „Sayant“ (Gelehrter), dessen Gehirn über eine Anomalie verfügte, die besondere Begabungen auslöste. Er konnte jedoch nie ein eigenständiges Leben führen, seine motorischen Fähigkeiten etwa waren so unterentwickelt, dass er selbst bei den einfachsten Alltagshandlungen Hilfe brauchte.
Der Gelehrte musste sein Leben lang rund um die Uhr betreut werden, gleichzeitig war sein Gedächtnis aber phänomenal. Seine visuellen Fähigkeiten erlaubten es ihm, den Inhalt einer Buchseite in wenigen Sekunden zu speichern, weshalb er pro Tag bis zu acht Bücher gelesen haben soll. Dabei reichten ihm etwa 10 Sekunden, um den Inhalt einer Seite zu lesen. Er kannte unzählige Werke und speicherte nicht nur diese Informationen, sondern auch das komplette Fernsehprogramm, alle Telefonvorwahlen der USA oder das Straßennetz aller Staaten. Durch diese Inselbegabung, mit der er sich Daten in unglaublichem Umfang speichern konnte, wurde er unter anderem zum Forschungsobjekt der NASA.
In den frühen Achtzigern wurde Autor Barry Moore auf Peek aufmerksam. Die Fähigkeiten des Inselbegabten inspirierten ihn zum Drehbuch von „Rain Man“. Nicht nur die Gedächtnisleistungen, sondern auch Peeks Art zu laufen, seine Handbewegungen und vor allem seine ehrliche Art wurden auf die Figur Raymond übertragen. Durch die gemeinsam verbrachte Zeit soll Barry Moore der erste Mensch gewesen sein, dem Kim Peek in die Augen schauen konnte.
Auch Dustin Hoffmann, der Raymond im Film verkörpert, war nachhaltig von Kim Peek beeindruckt. Er versprach, die Öffentlichkeit an dessen Fähigkeiten teilhaben zu lassen. Dies tat Kim Peek augenscheinlich sehr gut, da der Erfolg ihn auch persönlich veränderte. Hatte er vorher den Kontakt zu Menschen gemieden, so ging er zunehmend lockerer auf sie zu. Dass es so kommen würde, hätte niemand gedacht. Vor einigen Jahren sagte er in einem Interview, dass seine Lebenserwartung bei 14 Jahren lag, und hier wäre er nun, über 50 und so etwas wie ein Star. Peek starb 2009 an einem Herzanfall im Alter von 58 Jahren.
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