Nymphomaniac

DVD-Cover Nymphomaniac

8.5/10

Originaltitel: Nymphomaniac
DK, BE, FR, DE, GB | 2013 | 325 Min. | FSK: ab 18
Drama, Erotik
Regie: Lars von Trier
Drehbuch: Lars von Trier
Besetzung: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Stacy Martin, Shia LaBeouf, Christian Slater, Jamie Bell u.a.
Kinostart: 20.02.14/03.04.14
DVD/Blu-Ray VÖ: 20.11.14

Links zum Film:
IMDb | Wikipedia | film zeit
Bilder © Concorde Filmverleih

Worum geht’s?

Blutig geschlagen wird Nymphomanin Joe von dem alten Junggesellen Seligman von der Straße aufgelesen und zur Pflege in dessen Wohnung gebracht. Dort erzählt sie ihm ihre sündige Lebensgeschichte in acht Kapiteln. Durch die unterschiedlichen Weltanschauungen der beiden ergeben sich angeregte Diskussionen.

Wie ist der Film?

Zunächst war der Director’s Cut nur in Dänemark sowie bei der Berlinale zu sehen, lange gab es für ihn weltweit keine Heimkino-Ankündigung, und nun ist er überraschend doch zeitgleich mit der gekürzten Kinoversion erschienen. „Nymphomaniac“: Rund 240 Minuten versus 325 Minuten mit mehr Philosophie und Pornografie – beide Fassungen sind eine cineastische Wucht und kommen erstaunlicherweise ohne auffällige Längen aus. Daher lohnen die fünfeinhalb Stunden des nicht jugendfreien Director’s Cut wirklich, birgt er doch zusätzliche Intensität und Charaktertiefe im Vergleich zum Pendent ab 16. Mit diesem Mammutprojekt erreicht Lars von Trier seinen Zenit.

Szenenbild NymphomaniacKeiner bricht so stimmig und unverkrampft filmische Grundregeln wie von Trier, was auch „Nymphomaniac“ einen besonderen Reiz verleiht. Diverse Jumpcuts ergeben absolut Sinn, während andere Regie-Entscheidungen völlig paradox erscheinen, doch das sind alles gelegentliche Impulse, die das Publikum bei der Stange halten – wie auch schamlose, natürlich in die Handlung integrierte Detailaufnahmen von Geschlechtsteilen. Allerdings zeigt sich von Triers Bildsprache in „Nymphomaniac“ trotz aller Experimente und Einschübe eingependelt, auf einer klaren Linie, einfach angenehmer anzuschauen als seine Vorgängerwerke der letzten Jahre. Der Bruch, welcher die Teilung in Volume 1 und Volume 2 vornimmt, ist gut platziert, doch mit etwas Sitzfleisch funktioniert „Nymphomaniac“ flüssig als ein großer, in sich stimmiger Film.

Natürlich geht es nicht nur um provokative Versuchsanordnungen, sondern auch um clevere Dialoge, in denen es – auf von Triers Art – reichlich menschelt. Charlotte Gainsbourg („Science of Sleep – Anleitung zum Träumen“) und Stellan Skarsgård („Thor“) bilden als Hauptfiguren der Rahmenhandlung ein ungleiches wie harmonisches Duo. Wenn sie von sexuellen Eskapaden erzählt, antwortet er mit Parallelen aus seinem literarischen Wissensschatz. Diese ständigen, unterbrechenden Vergleiche gehen fast auf die Nerven, finden später aber ihre Daseinsberechtigung. In Rückblicken entfaltet sich dann der Rest eines hervorragenden Ensembles. Die Übergänge von den jungen zu älteren Versionen derselben Rolle fallen wenig harmonisch aus, aber Schwamm drüber.

Stacy Martin gibt als junge Nymphomanin ein beeindruckendes Schauspieldebüt; eine faszinierende Mischung aus Unschuld, Unsicherheit, Zynismus und Gier. Shia LaBeouf („Disturbia“) wirkt fast übermotiviert, aber überzeugt in einer seiner bislang anspruchsvollsten Rollen. Am erwähnenswertesten unter allen weiteren Stars bleibt Uma Thurman („Kill Bill“) mit nur einer Szene, die durch ihre bizarre Komik einen Höhepunkt des Films darstellt. Überhaupt ist der überraschend ausgeprägte Humor ein weiterer Grund, warum die schweren Themen in „Nymphomaniac“ so verdaulich bleiben. In „Antichrist“ gar nicht, in „Melancholia“ kaum vorhanden, unterstreicht der trockene Witz Lars von Triers Genesung am Ende dieser inoffiziellen ‚Trilogy of Depression‘.

Neben auflockernden visuellen Spielereien zwinkert von Trier auch durch einige Selbstreferenzen, mit denen er seinen zweifelhaften Ruf (Frauenfeind, Nazi-Sympathisant) sowie konkret seine eigenen Filme kommentiert – ein Bonbon für den Fan. Zusätzlichen Pfiff bringt eine spannende Soundtrack-Wahl von Bach bis Rammstein. „Nymphomaniac“ ist schlichtweg unberechenbar, frech, unbequem, unterhaltsam. Eine meisterhafte Erzählung über Tabus und unangepasste Individuen, mit verblüffenden Effekten, die Kinostars echten Sex vor der Kamera andichten. Alles muss man nicht verstehen – wie denn auch, bei Lars von Trier? Aber es funktioniert fantastisch.

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